Trauma hier, Trauma dort, Trauma, Trauma überall!

Trauma hier, Trauma dort, Trauma, Trauma überall!

skepticalinquirer.org Volume 48No. 5, September/Oktober 2024, von Peter Barglow [übersetzt aus dem Englischen]

Das englische Wort trauma stammt vom altgriechischen Wort τραῦμα ab und bezieht sich auf das Auftreten körperlicher Wunden, die verdrehte, gequetschte und durchbohrte Verzerrungen aufweisen. Es fand im späten 17. Jahrhundert Eingang in die englische Sprache, und in den späten 1880er Jahren erweiterten Jean-Martin Charcot (1825–1893) und Sigmund Freud (1856–1939) seine Bedeutung, sodass es nun auch psychologische Wunden bezeichnet.

In der ersten Ausgabe des Diagnostic and Statistical Manual Mental Disorders der American Psychiatric Association, das 1952 veröffentlicht wurde [Deutsch: «DSM/Diagnostisches und Statistisches Manual Psychischer Störungen»], fehlte emotionales Trauma völlig. Andrew Scull (2023), der Trauma als eine Art „Modeerscheinung“ untersucht hat, beschreibt detailliert den langen Prozess, durch den es für die amerikanische Psychiatrie so bedeutsam wurde. Chaim Shatan (1972) von der New York University prägte den Begriff „Post-Vietnam-Syndrom“, um das verzögerte Auftreten belastender emotionaler Symptome bei Soldaten, die dort gekämpft hatten, zu bezeichnen. Robert Lifton von Harvard bestand darauf, dass die Symptome psychischer Schäden, die Soldaten betreffen, erst viele Jahre nach einer solchen Verletzung auftreten könnten. Durch ihr Engagement wurde 1980 das posttraumatische Stresssyndrom (PTBS) von der APA als diagnostische Kategorie aufgenommen – eine Kategorie, deren Bedeutung bis heute stetig zunimmt. Diese Störung ist gekennzeichnet durch Symptome wie unwillkürlich wiederkehrende, belastende Erinnerungen, Hypervigilanz, emotionale Abstumpfung, Wutausbrüche und gewalttätiges Verhalten. In den vergangenen Jahrzehnten wurde die Entstehung der vielfältigen Traumasymptome auf unterschiedlichste große und kleine psychologische Wunden zurückgeführt. Trotz der angeblichen ursächlichen Verbindungen zu Biologie und Neurologie weisen pharmakologische Behandlungen eine hohe Ausfallrate auf (Hoskins 2015).

In den letzten Jahren wurde besonderer Fokus auf Soldaten und Kriegsopfer gelegt, was zu Dutzenden veröffentlichter Bücher führte. Der 2014 in der New York Times zum Bestseller gekürte The Body Keeps the Score von Bessel A. van der Kolk hat in der westlichen Welt 300 Mio. Exemplare verkauft [Deutscher Titel: «Verkörperter Schrecken: Traumaspuren in Gehirn, Geist und Körper und wie man sie heilen kann»]. Überlebende von Vergewaltigungen und Gewalttaten bilden eine weitere grosse klinische Gruppe. Judith Hermans umfassendes Buch Truth and Repair (2023) ist ein wichtiges Werk, das das emotionale Trauma von Frauen in den Vordergrund stellt. Allein in den Vereinigten Staaten belaufen sich die Ausgaben für Trauma-Behandlungen auf fast 10 Mrd. Dollar pro Jahr.

Schauen wir uns The Body Keeps the Score als ein Paradebeispiel der Literatur über Trauma an. Es überrascht nicht, dass ein Buch, das voller Anspielungen auf die englische und weltweite Literatur steckt, mit einfallsreichen Heilmethoden für alle Arten von Trauma aufwartet und beeindruckende neurowissenschaftliche Erkenntnisse zitiert, so breit gelesen wurde. Es enthält eine erstaunlich große Anzahl relevanter und wertvoller Zitate – fünfundzwanzig davon beziehen sich auf van der Kolks eigene Originalforschung.

Doch viele Fehler und unbegründete Spekulationen mindern den Wert des Buches. Leser dieses inzwischen berühmten Sachbuchs, das derzeit wieder an Popularität gewinnt, sollten seinen Behauptungen, Schlussfolgerungen und Empfehlungen kritisch gegenüberstehen. Als skeptischer Psychiater werde ich versuchen, die zahlreichen Fehler und Schwächen der vielen unbelegten Behauptungen des Buches aufzuzeigen. Bevor ich einige der substanzielleren Aussagen in The Body Keeps the Score anspreche, möchte ich zunächst eine Auswahl der im Buch dargestellten Ansätze und Heilmethoden für die schmerzhaften Folgen von Trauma präsentieren.

Das traditionelle, freudianische Wiedererleben traumatischer Ereignisse wird im Allgemeinen als therapeutisches Scheitern betrachtet, während die von Freud, Breuer, Janet und Charcot begründeten klassischen psychoanalytischen Ansätze als nützlich beschrieben werden. Prozac und ähnliche SSRI-Präparate gelten als wirksam, während antipsychotische Medikamente als fragwürdig eingeschätzt werden. Van der Kolk steht dem Nutzen von Benzodiazepinen skeptisch gegenüber, bewertet den Einsatz von MDMA (Ecstasy) jedoch hoch. Neurofeedback und Akupunktur werden als effektiv dargestellt. Er behauptet, dass die Verhaltensdesensibilisierung gegenüber traumatischen Erinnerungen hilfreich sein könnte und hält somatische Therapien für durchaus wertvoll. Atemübungen, beruhigende Praktiken, Achtsamkeit, Hypnose, die Pflege von Tieren, rhythmisches Singen und Tanzen sowie Berührungen und Umarmungen werden im Buch als vorteilhaft beschrieben. Van der Kolk behauptet zudem, dass schauspielerische und Live-Theater-Aktivitäten bei der Behandlung einer Vielzahl früherer traumatischer Erfahrungen helfen. Insgesamt stellen die Empfehlungen des Autors eine Mischung aus belegten und unbelegten Behauptungen dar.

Nachdem Sie nun einen Eindruck von der breiten Palette der im Buch dargestellten Ansprüche haben, möchte ich im Folgenden zwei der behaupteten Behandlungsansätze für Trauma näher beleuchten: EMDR und Yoga.

EMDR

Kapitel 15 von The Body Keeps the Score („Loslassen der Vergangenheit: EMDR“) beinhaltet die Fallgeschichte von „David“ und den Behandlungsansatz namens Eye Movement Desensitization and Reprocessing (EMDR). David hatte eine lange Vorgeschichte der Drogenabhängigkeit, was die Ungenauigkeit der PTBS-Diagnose verdeutlicht. „Maggie“ ist eine weitere Fallgeschichte, in der Drogenabhängigkeit thematisiert wird. In einer zusätzlichen Fallstudie berichtet „Kathy“, dass „der Prozess etwas in ihrem Geist/Gehirn freisetzte, um neue Bilder, Gefühle und Gedanken zu aktivieren“ (261). Was dieses „Etwas“ genau ist (oder war), bleibt ein Rätsel. Allen diesen Einzelfallstudien liegt dasselbe Problem zugrunde: Wenn Daten aus Veränderungen der Persönlichkeitsmerkmale eines einzelnen Menschen abgeleitet werden, sollte man solchen Befunden zunächst mit Skepsis begegnen – Studien mit Hunderten von Teilnehmern haben weitaus mehr Aussagekraft.

Van der Kolk bezeichnet EMDR als einen „wissenschaftlichen Fortschritt“ (253), eine Behauptung, die bis heute unbelegt bleibt. Zwar wurden viele seiner Ergebnisse in öffentlichen Experimenten reproduziert, jedoch weisen die meisten dieser Studien fehlerhafte Forschungsmethoden auf. Die Erfinderin, Francine Shapiro – Autorin des 2004 erschienenen Buches EMDR: The Breakthrough Eye Movement Therapy for Overcoming Anxiety, Stress, and Trauma – hat ihre Methode nicht einer adäquaten experimentellen Überprüfung unterzogen. Sie führte keine gut konzipierten randomisierten kontrollierten Studien durch. Ebenso verwendete van der Kolk in seiner Studie, in der er eine Kurzzeit-EMDR, Prozac und Placebo verglich (van der Kolk et al. 2007), lediglich achtundachtzig Freiwillige. Keine Behandlung führte zu einer vollständigen Symptomremission, und Prozac war in etwa genauso erfolgreich wie EMDR. Mit seinem Wissen über das Gehirn erklärte van der Kolk: „Auf ihren Scans konnten wir nach der Behandlung einen deutlichen Anstieg der Aktivierung im präfrontalen Kortex sowie eine viel stärkere Aktivität im anterioren cingulären Kortex und in den Basalganglien beobachten“ (256). Dieses Ergebnis wurde weder reproduziert, noch ermöglicht es eine Ursache-Wirkung-Erklärung.

Erhebliche Forschungsergebnisse, die bereits vor über einem Jahrzehnt veröffentlicht wurden, werfen zusätzlich Zweifel an den positiven Befunden von EMDR und an seiner unglaublichen Vielfalt an Wirksamkeitserklärungen auf. „Feste Augenbewegungsbedingungen, bei denen die Probanden ihre Augen nach vorne fixierten, hatten keinen Einfluss auf die Behandlungsergebnisse“ (Arkowitz und Lilienfeld 2012). (Für eine detailliertere Kritik an EMDR siehe den Artikel von Gerald Rosen und Loren Pankratz in dieser Ausgabe, „Eye Movement Therapies, Purple Hats, and the Sagan Standard“, S. 54.)

Yoga

Kapitel 16 („Learning to Inhabit Your Body: Yoga“) beginnt mit einem schönen Zitat aus Stephen Copes 1999 erschienenem Buch Yoga and the Quest for the True Self. Das Zitat bezieht sich auf eine „viszerale Wiederverbindung mit den Bedürfnissen unseres Körpers“, die angeblich „eine Fähigkeit zur Selbstliebe“ fördert. Diese Idee stammt aus seinem weithin gelesenen Buch über Yoga. Cope war als ein esoterischer Yoga-Lehrer bekannt, der über keinerlei wissenschaftliche Qualifikationen verfügte.

Eine Fallgeschichte von „Annie“, die als Kind von ihren Eltern misshandelt wurde, leitet das Kapitel ein. Annie schnitt sich selbst und wurde wiederholt in psychiatrische Krankenhäuser eingeliefert. Van der Kolk behandelte sie, indem er fokussierte Atemtechniken und Akupressur als Teil der Emotional Freedom Technique (EFT) einsetzte – ein Ansatz, dem im Buch eine Quelle fehlt. Angeblich musste ihre Amygdala neu „verkabelt“ werden. Auch EFT weist viele der gleichen methodischen Schwächen wie EMDR auf.

Van der Kolk räumt ein, dass die Hälfte der traumatisierten Patienten Drogen oder Alkohol zur Selbstbetäubung nutzt, doch das Buch scheint Suchtbehandlungen zu vernachlässigen. Es folgt eine vermutlich fehlerhafte Aussage: „Ein Mangel an Kohärenz zwischen Atmung und Herzfrequenz macht Menschen anfällig“ für Herzkrankheiten, Krebs und Depressionen. Menschen mit PTBS wird nachgesagt, dass sie eine ungewöhnlich niedrige Herzfrequenzvariabilität (HRV) besitzen, und van der Kolk stellt fest, dass „ihr sympathisches und parasympathisches Nervensystem nicht im Einklang ist“ (269). Die zitierte Referenz zu James W. Hopper et al. (2006) und zu Hermans Truth and Repair beginnt mit den Worten „Vorläufige Evidenz“, doch Verweise auf diese Arbeit nehmen noch mehrere Seiten ein. Überraschend ist die eigenartige Aussage des Autors, dass, obwohl Google 17.000 Yoga-Seiten aufführt, die behaupten, die Praxis verbessere die HRV, er keine unterstützenden Studien finden konnte. Nichtsdestotrotz wurde van der Kolk Lehrer an einem Yogazentrum, während er behauptete, dass sich seine eigene HRV verbessert habe. Eine derartige Wahrheitsbehauptung gleicht einer raffinierten Werbung.

Das Kapitel erwähnt zudem, ohne eine unterstützende Quelle anzugeben, dass in van der Kolks Studie mit sechs Frauen über einen Zeitraum von zwanzig Wochen Yoga-Praxis eine „erhöhte Aktivierung des Basisselbstsystems, der Insula und des medialen präfrontalen Kortex“ festgestellt wurde. Allerdings fehlt seiner Behauptung eine plausible Ursache-Wirkung-Erklärung oder gar ein Vorschlag für einen wahrscheinlichen Wirkmechanismus. Das Kapitel endet optimistisch mit Annie und ihrem Ehemann, die sich glücklich „im Bett aneinander kuschelten.“ Die Liebe regiert, und den Begünstigten dieser merkwürdigen Behandlungen muss der Nachweis ihrer Wirksamkeit kaum Sorge bereiten.

The Body Keeps the Score, so eloquent es geschrieben sein mag, ist wissenschaftlich schwach, irreführend, fehlerhaft und teilweise täuschend. Es beruht auf faszinierenden klinischen Anekdoten und Verweisen auf die erlesenste Literatur der westlichen Welt. Zudem bedient es sich einer trügerischen Verbindung zur zeitgenössischen Neurowissenschaft. Es ist ein Paradebeispiel für zweifelhafte wissenschaftliche Literatur.

Referenzen

Arkowitz, H., and S. Lilienfeld. 2012. EMDR: Taking a closer look. Scientific American (August 1). Online at https://www.scientificamerican.com/article/emdr-taking-a-closer-look/.

Herman, Judith. 2023. Truth and Repair: How Trauma Survivors Envision Justice. New York, NY: Basic Books.

Hopper, James W., Joseph Spinazzola, William B. Simpson, et al. 2006. Preliminary evidence of parasympathetic influence in basal heart rate in posttraumatic stress disorder. Journal of Psychosomatic Research 60(1): 83–90.

Hoskins, Mathew. 2015. Pharmacotherapy for post-traumatic stress disorder: Systematic review and meta-analysis. British Journal of Psychiatry 206(2) 93–100.

Scull, Andrew. 2023. The fashions in trauma. Liberties 3(2): 171–191.

Shapiro, Francine. 2004. EMDR: The Breakthrough Eye Movement Therapy for Overcoming Anxiety, Stress, and Trauma. New York, NY: Basic Books.

Shatan, Chaim F. 1972. Post-Vietnam syndrome. New York Times (May 6).

Van der Kolk, Bessel A., et al. 2007. A randomized clinical trial of eye movement desensitization and reprocessing (EMDR), fluoxetine and pill placebo in the treatment of posttraumatic stress disorder: Treatment effects and long term maintenance. Journal of Clinical Psychiatry 68(1): 37–46.